Jütbaum

MichlB
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Jütbaum

Ungelesener Beitrag von MichlB »

Hallo zusammen,
ich bin gerade dabei ein paar Arbeiten am Mast zu erledigen (Salinge usw.). Ein weiterer Punkt auf der Liste ist eine Mastlegevorrichtung.
Hier war anscheinend schon mal was verbaut? Ich kann leider den Voreigner nicht mehr befragen….
Hat jemand von euch eine Idee wie diese Vorrichtung/ Jütbaum ausgesehen haben könnte?
Beste Grüße aus Franken
Michl
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Grisu
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Re: Jütbaum

Ungelesener Beitrag von Grisu »

Hi Michl,
das ist mal eine "wozu soll das gut sein" - Frage der interessanten Sorte :D
Man sollte für solche Fragen ein eigenes Unterforum einrichten ;)

Der Knackpunkt bei einer Jüteinrichtung ist ja die seitliche Führung. Die muss auf Höhe des Drehpunktes, also des Mastlagers, die Wanten abfangen, damit der Mast nicht zur Seite wegknickt, wenn er nicht durch die Wanten stabilisiert wird. Gegen 7m Hebel hat kein Deck eine Chance.

Hier hat ein Vorbesitzer eine Aufnahme für einen Jütbaum vorgesehen. Von hinten eine dicke Schraube, vorne in ein Rohr mit Innengewinde o.ä. eingeschraubt. Am anderen Ende des Jütbaumes muss das Vorstag und eine Talje (z.B. Großschot) bombenfest eingehakt werden können. Wir haben uns hier schon des Öfteren darüber ausgetauscht, meine Variante ist auch irgendwo zu finden.

Dabei fehlt allerdings die Querstabilisierung, also etwas, das verhindert, dass der Mast das Deck zerstört, wenn die Wanten nicht gespannt sind. Von Anheben bis zum gestellten Zustand muss man höllisch aufpassen, Wind oder gar Welle können nahezu unbeherrschbar sein.

Warum fehlt nun dieser Jütbaum, obwohl die Bohrungen vorhanden sind?
Die Bohrung sitzen unterhalb des Drehpunktes. Wenn der Jütbaum beim anheben oder absenken unter Druck steht, wird dadurch zweifellos eine erhebliche Torsionskraft auf diesen ausgeübt. Ich würde den Anschlag nicht außerhalb des Drehpunktes setzen, da ich Bedenken hätte, dass der Jütbaum durch die Torsionskraft wegknickt. Wenn überhaupt, dann aufgrund des Angriffswinkels der Zugkräfte eher oberhalb. Durch seine Länge von ca. 2m ist er ja gegen Querbelastung empfindlich. Evtl. hat das der Konstrukteur auch beim ersten Hebeversuch gemerkt, und sein Projekt aufgegeben. Wie gesagt, das Jüten auf dem wackligen Boot ist sowieso schon etwas mulmig, da braucht man nicht auch noch einen sich durchbiegenden Jütbaum.
Ich selber verwende ein 20x60mm Aluprofil, und habe dies zur Sicherheit an den Schmalseiten mit U-Profilen verstärkt, da es mir auch so schon zu wackelig war.

Gruß
Gert
MichlB
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Re: Jütbaum

Ungelesener Beitrag von MichlB »

Hallo Gert,

für so ein Unterforum stimme ich vollumfänglich zu! :D
(Wäre ich wahrscheinlich gut vertreten :lol:)

Aber vielen Dank für deine Antwort. Du hast absolut recht mit deiner Beschreibung.
Deswegen fragte ich in dieser Runde. Die Themen hierzu (die Ausführungen auch in Bildern) kenne ich.
Es gibt ein ähnliches Bild, nur ist hier die Aufnahme oberhalb des Drehpunktes, das war der Grund warum ich das nochmals
aufgegriffen habe.
Vor allem wie dieser Jütbaum ausgesehen haben könnte und war das Hobby-Heimwerker Stil (wie von mir🫣) oder gab es da was fertiges.

Ich kann noch gut abwarten, aktuell hilft mir immer einer meiner Söhne beim Mast stellen, die wollen ja schließlich auch Segeln.

Danke und Grüße aus Franken
Michl
kosarsegler
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Re: Jütbaum

Ungelesener Beitrag von kosarsegler »

Hallo Michl,
im Wesendlichen stimme ich Gerds Ausführungen zu. Auf einzelne Punkte würde ich gerne eingehen:
  • Torosionskräfte: Würde ich als Verwindungskräfte übersetzen. Also die Kraft die beim Auswringen eines Aufnehmers auftritt: li. Hand dreht auf mich zu; re. von mir weg. Bei dem Jütbaum tritt diese Kraft am ehesten auf wenn unten die Schraube schwer geht und Du oben mit Gewalt drehst. Ich vermute Gerd meint eher Knick' oder Biegekräfte.
  • Seitliche Führung des Mastes durch Versetzen des Wantenanschlagpunktes: Das Problem ist ja bekannt: Wird der Mast nicht gehalten kann er seitlich schwingen und durch den langen Hebel Schaden anrichten. Wie von Gerd beschrieben ist der häufigste (und beste) Weg Wanten unten auf der Verlängerung des Drehpunkts anzuschlagen. In unserem Fall also auf dem (teoretisch) extrem verlängerten Mastbolzen. Das sind die Bügel, die man auf den meisten Booten mit Mastlegevorrichtung sehen kann.
    Es gibt aber noch andere Möglichkeiten, die seitliche Bewegungsfreiheit in ausreichendem Maße einzuschränken: z.B. hilfsweise Abspannungen, die unten auf den Püttingen und oben auf einem massiven "Rutscher" in der Großsegelkeep angeschlagen sind. Der Rutscher wird mit dem Großfall nach oben gespannt. Wird nun der Mast langsam geneigt werden die Abspannungen lose. Zieht man nun beim Legen die Großfall immer wieder nach bleibt der Mast seitlich geführt. Auf einem alten Plattbodenschiff habe ich mal einen Mast gesehen, der durch das Deck bis fast auf den Boden der Kajüte reichte. Er war unten mit einem Gegengewicht beschwehrt. Beim Legen drehte der Mast um einem Bolzen der ähnlich der Varianta an Deck saß. Die seitliche Führung kam von einer Führung die den unteren Teil des Mastes mittig hielt. Nicht zuletzt wegen des langen Schlitzes im Kajütdach vor dem Mast, aus dem der "Untermast" austrat, keine Umbauoption für uns; aber ein interssanter Gedanke. Es müssen also nicht immer die Wanten richten.
  • Seitliche Führung des Jütbaumes: Auch der Jütbaum kann seitlich umknicken. Besonders wenn der Mast zur Seite schwingt wirkt der senkrechte Druck nicht mehr von der Spitze des Jütbaumes auf eine Punkt auf der Mitschiffslinie sondern seitlich versetzt. Dadurch entsteht eine Biegebelastung, die direkt am Mast an größten ist. Entweder ist der Jütbaum unten so stark, daß er das aushält oder man spannt ihn auch noch zur Seite hin ab. Dieses Problem haben Jütgabeln, die re. und li. an der Außenkante des Decks fußen gar nicht und Dein Jütbaum am stärksten. Die Variante, bei der der Jütbaum unten als Gabel endet und außen auf dem Mastbolzen gelagert ist, hat da schon deutliche Vorteile.
  • Jütbaum unterhalb des Drehpunkts: Ich habe nicht begriffen, wo generell die Torosionskräfte (verm. eher Biegekräfte) herkommen sollen. Wenn das Vorstag nicht zu lang ist treten in Längsrichtung keine relevanten Biegekräfte auf. Die seitlichen sind gleich hoch wenn die Jütspitze zur Seite kann und gering wenn man den Jütbaum seitlich abspannt. Bleiben noch die Knickkräfte, also die Neigung der Jütbaums sich unter Druck in der Mitte zu biegen und dann zu knicken. Auch diese Kraft bleibt meines Erachtens weitgehend gleich.
    Ich würde eher einen geringen Vorteil in der Anordnung unterhalb des Drehpunkts sehen: Durch den Zug an Talje und damit mittelbar auch am Vorstag wird ein Druck in etwa in Richtung der Mittelachse des Jütbaums erzeugt. Diese Kraft wirkt unterhalb des Drehpunkts auf den Mast und drückt ihn damit in die Richtung, in die er auch soll. Jütbaum auf Höhe des Drehpunkts = diese Kraft verschenkt; Jütbaum über dem Drehpunkt = Kraft auch verschenkt; zusätzlich eine Biegekraft auf den Mast, die nicht relevant aber auch nicht erwünscht ist.
Schreibt mal wo ich den Denkfehler habe.
Walter
Grisu
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Re: Jütbaum

Ungelesener Beitrag von Grisu »

Hallo Walter,
danke für deine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema 8-)
Torsionskraft habe ich es genannt, weil der Jütbaum verdreht wird, allerdings quer, nicht
längs, als Resultante eines Drehmoments. Mir fällt nichts besseres ein.
Diese Grafik sollte die Kräftevektoren verdeutlichen:
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So betrachtet glaube ich auch nicht, dass eine Hebelwirkung entsteht die den Mast hochdrückt, da der resultierende Vektor in Richtung Drehpunkt zeigt. Es würde aber aufgrund der Längenverhältnisse auch nur vielleicht 3% ausmachen.

Vielleicht mal ganz einfach: Drücke einen Stift locker mit dem Zeigefinger senkrecht auf die Schreibunterlage. Dann verschiebe den Finger quer. Jetzt weist du, in welcher Richtung die Kraft wirkt :D

Gruß
Gert
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